Wenn der Körper sagt, was dem Herzen fehlt.
Den Ärger herunterschlucken macht krank – so könnte die Kurzversion der Idee lauten, dass man verschüttete und verborgene Emotionen und Erlebnisse aufarbeiten sollte, um körperlich, emotional und geistig gesund zu bleiben. Verschiedene Ansätze aus der Psychologie, der asiatischen Heilkunde, Meditation, ganzheitlichen Medizin oder Esoterik wissen inzwischen, dass man sich nicht wohl fühlen kann, wenn man nicht im Einklang mit sich selbst ist. Eine relativ neue Methode zum eins werden mit sich selbst, die „Körperzentrierte Herzensarbeit“, geht auf interessante Art an die Sache ran. Das Motto: Ohne Einbeziehung des Körpers kommen wir nicht an unsere Emotionen heran. Autorin Kati Hofacker besuchte ein solches Seminar – und erfuhr erstaunliche Ergebnisse!
Sieben Frauen sitzen um eine Kerze herum in einem Stuhlkreis, die Augen geschlossen, konzentriert. Die sanfte Stimme der Kursleiterin Elke Gebauer (48) führt die Kursteilnehmerinnen allmählich in einen meditativen Zustand. „Nehmt euren Atem wahr, spürt die Bewegung
des Brustkorbs. Kommt im eigenen Körper an.“ Sie atmet mit der Gruppe tief ein und aus und langsam fällt die Nervosität von den Frauen ab, das Stühlerücken und Räuspern wird weniger, es macht sich eine friedliche Stimmung breit, nicht anders als in „normalen“ Meditationskursen.
Wir befinden uns im Münchener Frauensportstudio „My Sportlady“ – im Nachmittagsseminar für „Körperzentrierte Herzensarbeit“ von Elke Gebauer. Gebauer, eigentlich Physiotherapeutin und Beraterin für ganzheitliche Rehakonzepte mit einigen Zusatzausbildungen, erklärt Interview diese besondere Methode der Meditation.
„Die Körperzentrierte Herzensarbeit entstand unter anderem aus der Meditation heraus. Es geht natürlich auch darum, zur Ruhe zu kommen. Darüber hinaus aber versucht man, sich in seiner Vorstellung im Körperinneren zu zentrieren und von dort aus zu beobachten, wie man sich fühlt – sowohl auf physischer als auch auf geistig-emotionaler Ebene. Hierbei werden entweder über die körperliche Symptome oder gleich direkt versteckte und verborgene Gefühle zum Vorschein gebracht, bewusst wahr genommen und dann ‚versorgt’, ‚ins Herz geholt’. So kann man weit zurückliegende Verletzungen aufspüren oder aber auch ein aktuelles Thema, mit dem man sich derzeit beschäftigt, aufarbeiten.“
Die Wahrnehmungsübungen in der Körperzentrierten Herzensarbeit nutzen ähnlich neutrale, atemverbundene und konzentrierte Aufmerksamkeitstechniken wie die Zen-Meditation. Aber anders als dort wird die Aufmerksamkeit dann auf bestimmte Körperbereiche gebündelt und auf spezielle Themen gerichtet. Gebauer: „’Herzensarbeit’ heißt sie deshalb, weil sie zur symbolischen Öffnung des Herzens führt. Was so viel bedeutet, dass man wieder eins mit sich selbst wird, Körper, Geist und Seele zusammenbringt und positive, aber auch negative Gefühle anzunehmen lernt.“
Begonnen hatte das Seminar damit, dass die Frauen sich mit Vornamen vorstellten und erläuterten, warum sie hier sind oder was sie sich von dem Seminar erwarten: „Neugierde“, „Zur Ruhe kommen“ sind häufige Antworten. „Hilfe bei einer aktuelle Entscheidung“ oder „Herausfinden, warum ich so viel Kopfweh habe“ sind andere Aussagen. Eine fröhlich wirkende, charmante Blondine erzählt zum Beispiel lächelnd: „Ich bin Perfektionistin und versuche täglich fieberhaft, meine To-Do-Listen abzuhaken. Erst wenn ich alles geschafft habe, fühle ich mich komplett. Ich will endlich herausfinden, warum ich so bin!“
Nach dem Vorstellen und der ersten Atemmeditation fährt Elke Gebauer fort: „Fühle nun in dich hinein und schaue, ob etwas auftaucht und was es ist.“ Anders als bei gängigen Meditationstechniken sollen hier die Gedanken nicht abgeschaltet werden, sondern im Gegenteil bewusst wahrgenommen werden, damit diese Gedanken die Kursteilnehmer zu ihren Gefühlen transportieren. Gebauer: „Für buddhistische Mönche ist es leichter über das Abschalten der Gedanken zu sich selbst zu kommen. Wir als kopfbetonte Mitteleuropäer aber haben das oft verlernt. Deshalb eignet sich die Methode der Körperzentrierten Herzensarbeit, in der die Gedanken genutzt und nicht abgeschaltet werden, besonders gut auch für Menschen aus unserer schnelllebigen, leistungsorientierten Gesellschaft.
Elke Gebauer
Auch in Elke Gebauers Kurs am heutigen Samstag sitzen die unterschiedlichsten Frauen jeden Alters im Kursraum, fast alle berufstätig, einige Mütter, manche auch doppelbelastet. Trotzdem sind alle daran interessiert, auch hinter den oberflächlichen Funktionen, die sie bekleiden, einen Sinn und etwas Tieferes zu finden. Manche aus einem Gefühl heraus, dass noch irgend etwas fehlt, obwohl ihr Leben nach außen perfekt wirkt. Manchen, weil sie echte Schwierigkeiten haben.
Die verschiedenen Motivationen und Fragen dieser Frauen sollen in dem Seminar behandelt und beantwortet werden. Nicht von der Seminarleiterin, sondern von den wissenshungrigen Teilnehmerinnen selbst. Elke Gebauer: „Ein Beispiel: Es taucht plötzlich das Gefühl von Traurigkeit auf. Dann befrage ich selbst diesen Teil was er von mir möchte, was er von meinem Herzen benötigt.“
Ähnlich wie beispielsweise in der Psychoanalyse, wo mittels vieler Sitzungen das Innerste, die Vergangenheit, Verletzungen oder stillgelegte negative Gefühle durch den Patienten selbst aufgespürt werden, wird hier durch Meditation und eine geführte Reise ins Innere dafür gesorgt, dass verborgene, verschwiegene, unbequeme Teile in sich selbst entdeckt und wahrgenommen werden. Das kann man im Stillen tun oder aber in der Gruppe darüber sprechen. Diese Gefühle sollen dann integriert werden um als Teil unseres kompletten, ganzheitlichen Seins begriffen zu werden. Dabei helfen auch körperliche Symptome, die während der Sitzung auftauchen können, und die die Teilnehmerinnen zu den seelische Ursachen führen.
Im Seminarraum sind die Besucherinnen dazu angehalten zu erzählen, wenn sie etwas Ungewohntes spüren. Sie können etwas beitragen, müssen aber nicht. Die erste Meldung kommt von einer Mittvierzigerin namens Jule: „Ich habe das Gefühl, als ob etwas aus mir heraus will. Ein sprudelnder Springbrunnen, er will aus meinem Körperinneren. Aber mein Kopf sitzt darauf, auf dem Hals, wo es heraussprudeln will, und verstopft diese Quelle. Mein Kopf fühlt sich riesig an, wie ein großer schwerer Medizinball, der alles verstopft und beschwert!“ Die Seminarleiterin spürt nach, fragt, atmet mit Jule und lässt die Kursteilnehmerin das Gefühl weiter beschreiben und „versorgen“. „Gerade dieses Beispiel war sehr gut. Diese Frau, die sich als sehr kopflastig empfindet, und sich wenig Gelegenheit für emotionale, intuitive Entscheidungen lässt, spürt hier ihren Kopf als großen, schweren Stöpsel, der ihr Inneres verstopft, als Fremdkörper. Er machte sie wütend, ärgerlich. Während des Seminars hat sie das erstmals aufgespürt und gelernt, was das bedeutet. Sie versuchte hier, diesen ‚Fremdkörper’ und ihre Wut darüber, mit zu sich in ihr Herz hinein zu holen. So dass sie sich mehr als Ganzes verstehen konnte und nicht mehr als eine zu zwei Teilen – Kopf und der Rest – zerfallene Person“, erklärt Elke Gebauer.
Wenn die ersten Wortmeldungen kommen, Elke Gebauer merkt, dass die Frauen an ihren Problem oder Gefühl angelangt sind, fragt sie, was das Gefühl vom Herzen braucht. Gebauer: „Dazu gibt es die sogenannten Herzensschlüssel. Diese Herzensschlüssel sind Worte, die ich im Seminar ausspreche. Worte, die die Teilnehmerin jeweils ganz besonders berühren:
- Annahme
- Verständnis
- Fühlen, also Wahrnehmen
- Zuwendung
- Anerkennung
- Respekt
- Achtung
- Erlaubnis
- Erbarmen
Bei Jule fragt Elke Gebauer zum Beispiel: „Wie fühlt sich dieser Kopfstöpsel an?“ – „schwer, und er ärgert mich!“, lautet die Antwort von Jule. Gebauer: „Was ist stärker, die Schwere oder der Ärger?“ – „Der Ärger!“. Gebauer: „Dann lasse dieses Gefühl von Ärger in diesem Moment zu und fühle es!“
Elke Gebauer versucht, sich über das Körperbild der Teilnehmerin, den Stöpsel, an das eigentliche Gefühl heranzutasten, den Ärger. Dann erst fühlt Jule den Ursprung ihres „Kopfstöpsels“ und vielleicht auch ihrer Probleme. Der Ärger ist das eigentliche Gefühl, nicht der Stöpsel. Der Stöpsel hat den Ärger nur in der „Flasche“ gehalten.
„Erst dann, wenn Jule diesen Ärger wirklich fühlt, frage ich sie, was dieser Teil, der sich ärgert, braucht. Welchen Herzensschlüssel. Jules Gefühl brauchte den Herzensschlüssel der Erlaubnis.“ Jule ist eine erfolgreiche Karrierefrau und Familienmutter, möchte am liebsten immer vollkommen sein und nutzt dazu fast ausschließlich ihre Vernunft. Ärger ist ein unbequemes und unerwünschtes Gefühl für jede kontrollierte Person und wird deshalb gerne ausgeklammert. Gebauer: „Ein wichtiger Schritt ist dabei weiterhin, nicht zu werten, sondern zu erkennen, dass jede Emotion ihre ‚Berechtigung’ hat. Wenn man sie aber zu lange unterdrückt, können daraus Symptome entstehen: emotionale, wie Unruhe oder schlechte Laune. Wenn ich meine Gefühle weiterhin wegleugne, meldet sich der Geist zu Wort und signalisiert uns, fast wie durch eine innere Stimme, dass irgendetwas mit uns nicht stimmt. Als letztes Alarmsignal kommt dann der Körper ins Spiel, im leichten Fall mit Verspannungen, später schickt er uns körperliche Symptome bis hin zu einer möglichen Erkrankung.“
Das Instrumentarium der Herzensschlüssel funktioniert hierbei so gut wie immer. Jede Teilnehmerin an dem Seminar fühlt sich von einem dieser Begriffe ganz besonders angesprochen. Dieser ist dann der jeweilige Herzensschlüssel, mit dem sie ihr Herz für das Gefühl z.B des Ärgers, wie bei der „Kopffrau“ öffnen kann. Man stellt sich bildhaft vor, wie man den Teil in sich, der z.B. ärgerlich ist, ins Herz holt, wie man das Herz dafür aufmacht und das Gefühl dort versorgt – was in meinem eigenen Kopfkino übrigens wie bei einer Wellness-Behandlung in einem herzförmigen Kuschelsalon mit Maniküre, Pediküre und Streichelmassage aussieht. Niemand lacht, als ich diese Fantasie erzähle, jede Frau darf ihre eigenen Bilder, ihre eigene Form finden.
Elke Gebauer: „Bei Jule wollte der Ärger einfach einmal bemerkt, gefühlt und zugelassen werden. Man kann sich das Versorgen vorstellen wie Mitgefühl, Erbarmen, Empathie für eine bestimmte fremde Person, die uns leid tut. Nur eben für uns selbst.“
Melanie, eine schlanke hübsche Frau um die 30, meldet sich zu Wort: „Ich fühle mich, als hätte ich einen Kloß im Bauch. Er ist groß, und tut weh, drückt nach oben, fast, als ob mir jemand auf der Lunge sitzt!“ Sie beginnt zu weinen. Elke Gebauer spürt nach, fragt sanft, lässt die Frau weiter in sich hineingehen, zu dem „Kloß“. Später wird herauskommen, dass diese Frau Probleme mit ihrem Vater hat, von Kindheit an um seine Aufmerksamkeit und Liebe kämpfte und diesen Schmerz bis heute nicht verwunden hat. „In diesem Falle wurde das verlassene, ungeliebte Kind, das immer noch ein Teil von Melanie ist, ins Herz geholt und versorgt. Der Vater konnte das ganz offensichtlich nicht. Nun bekommt Melanie das Instrumentarium in die Hand, sich selbst zu versorgen, sich zu kümmern und aufmerksam zu behandeln. Ihr Herzensschlüssel war Erbarmen, fast der stärkste von allen.“
Elke Gebauer weiter: „Viele Frauen sagen mir, dass sie hier mehr gefunden haben als bei vorherigen Psychotherapien. Das mag daran liegen, dass wir in der KH über den Körper an die verschütteten Gefühle herankommen und ihn immer mit einbeziehen. Ohne diese entscheidende Ebene, ohne den Körper, bleiben viele im reinen Analysieren und mogeln sich um das Fühlen herum. Wenn wir den Körper nicht mit einbeziehen, läuft alles über den Kopf, und das passiert bei uns Mitteleuropäern sowieso viel zu viel.“
Entwickelt wurde die Körperzentrierte Herzensarbeit von der Autorin und Meditationslehrerin Safi Nidiaye, nach 21 Büchern eine der meistgelesenen deutschen Autorinnen im Bereich Lebenshilfe und Spiritualität. Seit 1988 leitet sie Seminare und entwickelte aus der Meditation die Körperzentrierte Herzensarbeit. Nidiaye: „Es handelt sich dabei um eine Methode, die es ermöglicht, anhand der jeweils aktuellen Lebensprobleme verdrängte Emotionen im Körper aufzuspüren und aus ihrer Verbannung aus Herz und Bewusstsein zu erlösen.“
Wie aber kann man sich sicher sein, dass man bei Seminaren zur KH nicht Scharlatanen aufsitzt, wie sie in Grenzwissenschaften leider oft gedeihen? Elke Gebauer: „Ich habe seit 1995 bei Safi Nidiaye selbst diese Technik erlernt und wurde später zu ihrer Assistentin. Alle, die diese Arbeit weitergeben, müssen selbst eine jahrelange geistig-spirituelle und emotionale Ausbildung durchlaufen und verpflichten sich, die KH auch immer bei sich selbst anzuwenden. Dazu gibt es verpflichtende Fortbildungen, die die grundsätzliche Voraussetzung für das Weitergeben der Herzensarbeit sind.“ Im Moment sind es circa zehn Leute in Deutschland, die diese Arbeit zertifiziert weitergeben dürfen.
Gebauer: „Es ist oft beeindruckend, wie einschneidend diese Seminare für die Teilnehmerinnen sind. Eine Patientin kam bei mir ursprünglich mit einer Halswirbelblockade in die Physiotherapie und wollte sie ‚eingerenkt’ haben. Neben der körperlichen Behandlung sind wir zur KH gekommen und dabei kamen in zwei Sitzungen so grundsätzliche Themen wie verdrängter Kinderwunsch, ein eigener Mutterkonflikt und Existenzängste zum Vorschein. Ihr innerlicher Schmerz, der sowieso immer da war und sich beispielsweise in der Halswirbelblockade manifestiert hat, hat nach außen gefunden und konnte so von ihr entdeckt und versorgt werden. Es geht der Patientin nun viel besser, sie fühlt sich lebendiger, angstfreier, empfindet mehr Lebensfreude und weiß, dass sie mit ihrem Mann ein Kind will!
Wie Safi sagt:
Fühlen ist vielleicht nicht die Lösung für alle Probleme, aber auf jeden Fall der Beginn ihrer Lösung.
Die Kosten für ein Gruppenseminar – übrigens auch für Männer geeignet – bei Elke Gebauer belaufen sich auf insgesamt. ca. 25 – 30 Euro für zwei Stunden, je nach Veranstalter
http://www.praxisamherzogpark.de
Buch: „Wieder fühlen lernen: Wie wir uns selbst und die Welt heilen können“ von Safi Nidiaye,
Integral Verlag, 14,95 €
Redaktion: Kati Hofacker, text-werk-design, www.text-werk-design.de
Bilder: Fotolia.com, Elke Gebauer
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Die Suche nach uns Selbst – Selbstfindung & Selbsterkenntnis
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