Tiergestützte Hilfsangebote, beispielsweise die Delfintherapie, sind inzwischen allgemein anerkannt – doch sehr teuer und schwer durchzuführen. Ein relativ neues Heilverfahren, das „Heilpädagogisches Begleiten mit dem Pferd“ (HBP), verspricht nun hervorragende Ergebnisse bei Problemen aller Art – und das ganz nah am Heimatort. Die Beschäftigungstherapeutin Claudia Schönberger, die nach einer Ausbildung für HBP diese Methode bei München anbietet, erklärt, wie dieses Konzept funktioniert und für wen es geeignet ist!
Tipps vom Experten: Für wen ist HBP geeignet?
Claudia Schönberger:
„Diese Therapie mit Pferd ist für jeden geeignet, Erwachsene wie Kinder, Gesunde wie Kranke und Behinderte. Dabei ist es egal, ob es um die Bewältigung von Alltagsschwierigkeiten, um Veränderungswünsche allgemeiner Art, oder um schwere um psychosomatische Probleme wie beispielsweise Depressionen geht. HBP leistet auch Hilfe bei Angstzuständen oder beim Status nach traumatischen Erlebnissen wie zum Beispiel Missbrauch. Auch können psychiatrische Beschwerden, Wahrnehmungsstörungen, geistige oder körperliche Behinderung, Autismus und leichte oder schwere Verhaltensauffälligkeiten mithilfe dieser Therapie äußerst positiv beeinflusst werden.“
Tipps vom Experten: Welche Ergebnisse kann ein Klient oder Patient erwarten?
Claudia Schönberger:
„Die heilpädagogisch unterstützte Begegnung mit dem Pferd spricht ganzheitlich Körper, Geist und Seele an. Die eigenen Bedürfnisse können besser erspürt und Widerstände überwunden werden. Diese Therapieform lässt Menschen mit beispielsweise Depressionen wieder Freude empfinden, sie kann das Selbstwertgefühl und das Selbstbewusstsein aufbauen und sie kann helfen, die eigene Mitte zu finden. Und das sind nur einige Facetten des ganzheitlichen Heilungsprozesses.“
Tipps vom Experten: Was ist HBP genau?
Claudia Schönberger:
„HBP ist eine begleitete und geführte Begegnung mit Pferden. Die Methode sieht sich als symptomübergreifende und prozessorientierte Methode, die sich mit der Gesamthaltung des Klienten zu sich, zu seinen eigenen Bedürfnissen und seiner sozialen Umwelt beschäftigt.“
Tipps vom Experten: Was passiert beim HBP genau, was bewirkt es, für wen ist es geeignet?
Claudia Schönberger:
„Die Grundlage der Arbeit ist der Beziehungsaufbau zwischen Klient und Pferd, der durch den ausgebildeten Begleiter aktiviert und unterstützt wird. Die Kontaktaufnahme und die Vertrauensbildung geschehen dabei durch unterschiedliche Methoden. Erstens vom Boden aus: Man beobachtet, berührt, führt, putzt das Tier und spielt mit dem Pferd. Dies ermöglicht nicht nur gesunden, sondern auch Menschen mit geistiger, mit Mehrfach- oder Körperbehinderung durch Streicheln, Schmusen, Füttern mit allen Sinnen das freundliche Wesen des Pferdes zu erspüren. Der Mensch fühlt sich in diesem Kontakt mit dem Pferd angenommen und akzeptiert.
Ein weiterer Baustein der Therapie ist das geführte Reiten auf dem Sandplatz oder im Gelände. Dies lässt den Klienten erfahren, wie es ist, getragen und bewegt zu werden, sich dem Pferd anzuvertrauen und sich damit in eine völlig neue Situation zu begeben. Selbst Menschen, die große Angst vor Pferden haben, macht das nach einiger Zeit großen Spaß. Zusätzlich unternimmt man liegend auf dem Pferd Phantasiereisen und Meditationen. Das gemeinsame Atmen und die Wahrnehmung des Getragenseins bieten die Möglichkeit, frühkindliche Erfahrungen zu wiederholen und eventuelle Defizite auszugleichen.“
Tipps vom Experten: Welche aktive Rolle spielt das Pferd dabei?
Claudia Schönberger:
„Voraussetzung für die Therapie ist natürlich ein sanftes Therapiepferd, das einen feinen Charakter hat und das ebenfalls eine Ausbildung genossen hat. In der Reaktion eines Pferdes kann wie in einem Spiegel abgelesen werden, welche Signale der betreffende Mensch aussendet. Pferde werten und urteilen nicht – und doch kann man in ihnen lesen wie in einem Buch. Das Pferd spiegelt das Innere des jeweiligen Menschen – ehrlich und ohne Interpretation – durch seine prompte Reaktion auf dessen Verhalten wider. Wenn zum Beispiel ein Klient trotz seiner Angst forsch und laut auf das Pferd zugeht, wird dieses zurückweichen, bleibt dieser Klient jedoch gemäß seiner Angst abwartend stehen, wird das Pferd langsam und sehr vorsichtig von sich aus den Kontakt aufnehmen.“
Tipps vom Experten: Wer hat das „Heilpädagogisches Begleiten mit dem Pferd“ – kurz HBP – entwickelt?
Claudia Schönberger:
„Die Methode wurde von Monika Brossard entwickelt. Sie ist das Ergebnis ihrer jahrelangen Arbeit als Reittherapeutin und Reitpädagogin. Somit ist HBP eine aus Erfahrung und Fachwissen konzipierte Möglichkeit, Menschen bei verschiedenen Prozessen der Heilung oder Veränderung zu begleiten und zu unterstützen. HBP gehört außerdem zur Gruppe der tiergestützten Therapien, so wie beispielsweise auch die Delfin-Therapie.“
Tipps vom Experten: Wie teuer ist HBP und zahlt es die Kasse?
Claudia Schönberger:
„Wenn die private Krankenkasse Reitpädagogik bezahlt, sollte man auch anfragen, ob sie die HBP-Stunden übernimmt. Da die Therapie relativ neu ist, kennen viele Kassen diese Methode noch nicht, deshalb sollte man ruhig einen Versuch unternehmen. Ansonsten kostet eine Stunde 46.- Euro inklusive Mehrwertsteuer.“
Tipps vom Experten: Vielen Dank für das Interview!
Die folgenden Fallbeispiele erläutern die Arbeit und
die Ergebnisse mit HBP:
Fallbeispiel 1:
I. M. ist 11 Jahre alt, er geht in die Sonderschule und in die heilpädagogische Tagesstätte der Lebenshilfe, beides so genannter G-Bereich, also im Geistig-Behinderten-Bereich. M. hat starke autistische Züge, er kann sich nicht artikulieren, redet „sinnlos“ Zeug vor sich hin, für seine Mitmenschen nicht verständlich, was ihn oft in Zorn versetzt.
Dann, bei anderen nicht immer nachvollziehbaren Gelegenheiten, fängt er an zu schreien. Wenn er dabei nicht rechtzeitig aufgefangen und beruhigt werden kann, steigert er sich so weit hinein, dass er kaum noch erreichbar ist. Da er Neues eher verweigert, muss er zum Teil zu „seinem Glück gezwungen“ werden. So auch beim Reiten. So lang er am Boden ist, zeigt er kaum Interesse am Pferd. Beim ersten Mal haben die Betreuerinnen ihn deshalb einfach kurzerhand zu zweit gepackt und aufs Pferd gesetzt.
Kaum sitzt er auf einem Pferd, geht aber eine erstaunliche Verwandlung mit ihm vor. Er beginnt zu lächeln und langsam zu entspannen. Wenn ich mit ihn auf dem Pferd zpazieren führe, braucht er niemanden, der ihn festhält. Er wird immer lockerer und entspannter, summt und lacht vor sich hin, macht ohne Aufforderung Übungen auf dem Pferd, z.B. streckt er seine Arme seitwärts weg. Es tut ihm augenscheinlich unendlich gut!
Da das Reiten für ihn im Moment noch das einzig wichtige ist, darf er zurzeit noch in jeder HBP-Stunde aufs Pferd. Mittlerweile lässt er sich schon sehr gern hochheben. Da Autisten ja meist große Probleme mit körperlicher Nähe haben, ist es unser Ziel, M. mit der Zeit auch zum Putzen des Pferdes und später möglichst auch zum Schmusen mit dem Pferd zu bewegen, damit er über diesen Weg positive Erfahrung mit körperlicher Nähe erleben und so später auch auf andere Lebensbereiche übertragen kann. Das wichtigste ist aber, dass M. im Rahmen der HBP die Möglichkeit zur Losgelassenheit, Entspanntheit, Freude und zum Glücklichsein hat.
Fallbeispiel 2:
S. ist 17 Jahre alt, ihre Eltern waren immer schon beide berufstätig und hatten deshalb auch immer sehr wenig Zeit für ihre drei Kinder. S. musste nach der Schule regelmäßig auf ihre kleineren Geschwister aufpassen, bis ihre Mutter abends heim kam. Dann erst konnte sie ihre Hausaufgaben erledigen. Für Freundinnen und Freizeitgestaltung blieb kaum mal Zeit.
Kurz nach Beginn ihrer Pubertät begann sie, magersüchtig zu werden, ganz langsam, schrittweise und lange Zeit unbemerkt von den Eltern. Es war die Sportlehrerin, die die Eltern aufmerksam machte, da sie bemerkt hatte, wie dürr S. mittlerweile war, als diese im Sportunterricht ohnmächtig wurde. Es war schwierig, die Eltern davon zu überzeugen, dass es sich um eine schon arg fortgeschrittene Magesucht mit der entsprechend brisanten Problematik handelte und dass dringend stationäre Therapie von Nöten war!
S. ist nun seit zwei Jahren in Therapie und lebt seit einem Jahr in einer betreuten Wohngruppe. Zur HBP kommt sie, um erleben zu dürfen, dass es etwas gibt, das nur allein für sie da ist, eben die HBP-Stunde und ein Wesen, das sie so akzeptiert, wie sie ist, mit dem sie schmusen und das sie umsorgen darf und das ihr dafür dankbar ist.
Die Begegnung und der Umgang mit dem Pferd gibt ihr die Möglichkeit, „nachgenährt“ zu werden, denn sie hat als Kind kaum Zärtlichkeit und Aufmerksamkeit erhalten, musste im Gegenteil sehr früh reifen und Verantwortung für sich und ihre kleinen Geschwister übernehmen. S. hat das Glück, zu den Magersüchtigen zu gehören, die geheilt werden können (häufig können Magersüchtige nur lernen, mit der Magersucht umzugehen und zu überleben). Sie ist auf dem besten Wege zur vollkommenen Heilung, wird dieses Jahr ihre Mittlere Reife Prüfung ablegen und möchte Tierarzthelferin oder Tierpflegerin werden.
Fallbeispiel 3:
Fr.M . ist 42 Jahre alt. Sie stammt aus einem intelektuellem Haushalt, ihr Vater ist Professor an der Uni, ihre Mutter ist Psychologin und unterrichtet an der FHS. Fr.M. ist Gymnasiallehrerin in den Fächern Mathematik und Physik. Sie ist verheiratet und hat keine eigenen Kinder. Bei ihr wurde ein Burn-Out-Syndrom oder auch Erschöpfungssyndrom diagnostiziert. Sie geht zwar regelmäßig zur Arbeit, ist aber häufiger krank und immer müde und leidet unter depressiven Phasen. Sie kam zum HBP, um „etwas für sich zu tun“. Auch bei ihr war das „Nachnähren“ ein wichtiges Thema.
Der Umgang mit und das Getragenwerden von dem Pferd lässt sie zur Ruhe kommen. Sie hatte Gelegenheit, ihrem Kummer und ihrer Trauer freien Lauf zu lassen. Das Pferd ist ihr ein guter Zuhörer und Tröster, gibt ihr Zuwendung und Kraft. Fr.M. erholt sich zusehends und schafft es mittlerweile, auch mit mir über ihre Probleme und Traurigkeit zu reden (weder ihre Eltern noch ihr Mann nahmen sich je die Zeit, ihr zuzuhören). Sie sagte beim letzten Mal, dass sie sich seit langem mal wieder richtig glücklich gefühlt habe. Sie möchte noch einige weitere HBP-Stunden kommen und später dann noch sporadisch Termine ausmachen.
HBP wird sinnvollerweise nicht nur zwei, drei Mal sondern möglichst in einem Block zu 10 Stunden wahrgenommen, mindestens ein Mal die Woche, denn die Abstände zwischen den einzelnen Einheiten sollten nicht zu lang sein. Oft ist es ratsam nach den ersten zehn Stunden noch weitere Einheiten zu nehmen. Eine HBP-Stunde hat 60 Minuten und kostet 46 €. Natürlich gibt es auch halbe Stunden, insbesondere für Kinder oder Behinderte, für die eine ganze Stunde eine Überforderung darstellen würde. Eine halbe Einheit kostet natürlich auch nur die Hälfte, also 23 €.
Wer „Heilpädagogisches Begleiten mit dem Pferd“ oder „HBP Brossard“ googelt, findet Angebote in ganz Deutschland. Claudia Schönberger selbst ist Ergotherapeutin mit Abschluss an der höheren Fachschule in München hat eine Fortbildung im Fach Psychotherapie und eine abgeschlossene Ausbildung zur heilpädagogischen Begleiterin mit dem Pferd nach Monika Brossard. Frau Schönberger arbeitete über 30 Jahre in diversen Einrichtungen der Lebenshilfe und hat Erfahrung in diversen Positionen in der ambulanten Psychiatrie und in einer Klinik für Psychosomatik. Ihre beiden Therapiepferde, Wega (geb. 1993) und deren Tochter Winona (geb. 2003) sind von Geburt an in ihrem Besitz. Ihr HBP ist in München-Otterfing, fünf Minuten von der S-Bahn.
Weitere Auskünfte und Beratung
bei Claudia Schönberger
Tel.: 08024-4689689
Mobil: 0152-29246338
schoenbergercl@web.de
Text: Kati Hofacker
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