Pixabay.comDie Welt steht vor einem globalen Kollaps. Doch es handelt sich nicht um eine Katastrophe wie ein atomarer Unfall, riesige Ozonlöcher oder die immense Plastikverschmutzung der Weltmeere. Im Gegenteil. Die Auslöser dieser Katastrophe sind winzig und mit dem menschlichen Auge nicht mehr wahrnehmbar. Und trotzdem oder gerade deswegen fordern sie jährlich hunderttausende von Toten. Es sind Bakterien. Schätzungen gehen davon aus, dass jedes Jahr 40.000 Menschen in Deutschland an Krankenhauskeimen sterben. Das Antibiotika resistente MRSA Bakterium nimmt in Krankenhäusern immer mehr zu. Es ist mit herkömmlichen Antibiotikas nicht mehr zu bekämpfen aber die in anderen Ländern bereits lange praktizierte Phagentherapie würde eine vielversprechende Heilungschance bieten.
Inhalt:
- Wie wirken Phagen
- Schnelle Hilfe, gänzlich ohne Nebenwirkungen
- Woher weiß man, welche Phagen bei welcher Erkrankung helfen
- Die Phangentherapie gibt es bereits seit 100 Jahren
- Phagen könnten Amputationen verhindern, dürfen es aber nicht
- Phagen als Killer gegen Krankenhauskeime/MRSA
- Phagentherapie in Deutschland nur in Extremfällen erlaubt
- Gewinnorientierung statt Heilauftrag?
- Mehr Infos zum Thema
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Bakterien sind verantwortlich für Krankheiten wie Lungenentzündung, Darminfektionen, infektiöse Brandverletzungen, Wundentzündungen oder Blasenentzündung um nur einige zu nennen. Bis vor wenigen Jahren wurden die Patienten mit infektiösen Erkrankungen einfach mit Antibiotika versorgt – und wurden in den meisten Fällen gesund. Heute nicht mehr. Denn viele der krankheitsauslösenden Bakterien sind mittlerweile Antibiotika resistent. Die Weltgesundheitsorganisation WHO warnt vor einer „post-antibakteriellen Zukunft“. Bakterieninfektionen könnten deutlich mehr Menschen zu Tode bringen – wie zu Zeit vor der Entdeckung des Penizillins. Deutlicher ausgesprochen: Die medizinische Allheilwaffe Antibiotikum hat ihre übergreifende Schutzmacht verloren. Und jeder, der eine bakterielle Infektionskrankheit hat, kann daran sterben, wenn die Erreger dieser Krankheit resistent gegen Antibiotika geworden sind.
Es gibt jedoch eine Lösung, und die ist ebenso winzig wie effektiv. Es sind Viren! Allerdings nicht die gemeinen Viren, die für Schnupfen und Halsschmerzen zuständig sind. Es sind die spezielle Unterart der Viren, Bakteriophagen genannt, die den gefährlichen Bakterien den Garaus machen. Und das ohne Nebenwirkungen. Vorausgesetzt es wird ihnen erlaubt. Und das ist in Deutschland ein schwieriges Thema
Wie wirken Phagen
Phagen sind Viren und kleiner als Bakterien. Und sie haben eine besonders gute Eigenschaft. Sie greifen, wenn sie ihren richtigen Wirt, sprich das passende Bakterium gefunden haben, das Bakterium einfach an. Daher ihr Name, der sich vom griechischen Wort phagos = fressen/angreifen her ableitet. Diesen Prozess nennt man auch lysieren, weshalb bei Phagen von lysierenden Viren gesprochen wird.
Beim Lysieren wird ein bestimmtes Enzym ausgeschüttet, das die Phagen dazu antreibt eine neue Phagengeneration herzustellen. Denn Phagen können sich nicht alleine, sondern ausschließlich in Bakterienzellen vermehren. Und das in einer so großen Anzahl, das die Bakterienzelle platzt und somit viele neue Phagen auf den Weg schickt. Diese neuen Phagen greifen dann natürlich wieder ihr Wirtsbakterium an. So können die Phagen die krankheitserregenden Bakterien schnell komplett zerstören, die Infektionskrankheit ist damit erfolgreich bekämpft.
Schnelle Hilfe, gänzlich ohne Nebenwirkungen
Antibiotika hat im Vergleich zu der Phagentherapie noch einen entscheidenden Nachteil. Denn der Einsatz von Antibiotika hat oft unangenehme Nebenwirkungen. Viele Patienten bekommen Probleme mit dem Magen und der Verdauung. Viele entwickeln allergische Reaktionen, die im schlimmsten Fall zu einem anaphylaktischen Schock führen können, der lebensbedrohlich sein kann. Diese Nebenwirkungen gibt es beim Einsatz von Phagen nicht. Der Brüsseler Mikrobiologe Dr. Thomas Rose, der die Phagentherapie bereits seit Jahren erforscht und erfolgreich einsetzt ist optimistisch: „Phagen greifen nur das auslösende Bakterium an, nicht den Menschen!“, erklärt er in der ARD-Sendung „(w) wie wissen“.
Woher weiß man welche Phagen bei welcher Erkrankung wirken
Der Anfang der Phagen-Forschung und -Bestimmung ist ein bisschen ekelig. Denn die Bakteriophagen leben am liebsten da, wo es nass und dreckig ist. Abwasserkanäle oder leicht verschmutze Flüsse und Bäche sind zum Beispiel ihr bevorzugtes Revier. Die Forscher und Mikrobiologen müssen nun von diesem verschmutzen Wasser/Material Proben im Labor genauer untersuchen. Die Proben werden dabei auf verschiedene Petrischalen aufgetragen, in denen sich wiederum unterschiedliche Bakterienstämme befinden. Bereits nach kurzer Zeit wird dann sichtbar, ob der Phage einen entsprechenden Bakterienwirt gefunden hat und seine Arbeit im vollen Gange ist. Nun wissen die Forscher, welcher Phage für welche bakterielle Infektion eingesetzt werden kann. Die entsprechenden Phagen werden gezüchtet und sind zum Einsatz bereit. Im Braunschweiger Leibnitz-Institut gibt es bereits knapp 350 verschiedene Phagen-Arten. Im führenden Phagen-Institut in Tiflis, Georgien sollen es bereits über 1.500 Phagen-Arten sein.
Die Phagentherapie gibt es bereits seit 100 Jahren
1917 hat der Frankokanadier Felix d’Herelle als erster Forscher die Phagen entdeckt. Er war es auch, der die Phagen im Kampf gegen die bakterielle Infektion einzusetzen begann. In Georgien hat er das Eliava-Institut gegründet. Doch der Siegeszug der Antibiotika stoppte schnell die Verbreitung der Phagentherapie. Einzig die Ostblockländer haben nach dem Zweiten Weltkrieg weiterhin auf die Viren gesetzt. In den dortigen Ländern wird die Phagentherapie bis heute erfolgreich eingesetzt. Unter anderem deshalb, da Antibiotika dort früher schwer erhältlich war.
Alexander Flemming, einer der Entdecker der Antibiotika, hat bereits sehr früh prognostiziert, dass Bakterien schnell eine Resistenz gegenüber Antibiotika entwickeln könnten. Er sollte Recht behalten. In den 1990er Jahren traten vermehrt Antibiotikaresistenzen auf. Und sie nehmen ständig zu. Dabei ist der Mensch nicht ganz unschuldig an diesem Dilemma. Jahrelang haben Ärzte bei jeder Kleinigkeit Antibiotika verschrieben. In der Tier- und Masthaltung wird Antibiotika massiv eingesetzt. Und durch die Nahrungskette nimmt der Mensch Antibiotika so ständig auf. Und das wiederum kann schnell zu einer Resistenz führen.
Phagen könnten Amputationen verhindern, dürfen es aber nicht
Viele Argumente sprechen für die Phagentherapie. Trotzdem ist sie in Deutschland nur bedingt erlaubt. Denn Phagen sind eigentlich in Deutschland noch nicht zugelassen. Ein gewöhnlicher Patient mit einer starken bakteriellen Infektion darf also nicht mit der Phagentherapie behandelt werden, auch wenn es so zu einer schnelleren Genesung kommen könnte. Einzig bei einer experimentellen Therapie dürfen sie eingesetzt werden. Die ist allerdings nur möglich, wenn bei dem Patienten zuvor bereits alle anderen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft wurden und keine einen Erfolg erzielt hat. Der Patient hat letztendlich einen langen und oft schmerzhaften Krankheitsverlauf hinter sich, bis ihm geholfen werden darf. So ein Zustand geschieht häufig in Verbindung mit Wundinfektionen, die durch eigentlich harmlose Operationen ausgelöst werden. Das können zum Beispiel kleinere Eingriffe im Knie oder ähnliches sein. Nicht selten entwickelt sich die Infektion dann so stark, dass die Ärzte nach jahrelangem „Herum-Doktern“ und ständigem Einsatz von Antibiotika keine andere Möglichkeit mehr sehen, als dem Patienten zum Beispiel das betroffene Bein zu amputieren. Der Brüsseler Arzt Dr. Thomas Rose hat wiederum seit einigen Jahren sehr gute Erfahrungen mit der Phagentherapie in diesen Fällen gemacht und konnte so vielen Patienten die Amputation ersparen und die Schmerzen schneller lindern.
Phagen als Killer von Krankenhauskeimen/MRSA
Eine große Gefahr geht von Krankenhauskeimen aus. Die Verbreitung dieser Keime nimmt ständig zu. Die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene schätzt, dass jedes Jahr 40.000 Menschen in Deutschland nach einer Infektion mit Krankenhauskeimen sterben. Ursache ist die mangelnde Hygiene in den Krankenhäusern, zum Beispiel durch mehrfach benutze Putzlappen oder ungenügendes Händedesinfizieren. Der medizinische Begriff für Krankenhauskeime lautet Staphylococcus aureus Bakterium. Durchschnittlich 30 Prozent der Bevölkerung tragen diese Bakterien in sich ohne Probleme zu bekommen. Kritisch wird es allerdings, wenn das Immunsystem angegriffen ist. Dann kann es zu Lungenentzündung, Geschwüren oder Blutvergiftung kommen. Früher wurde in diesem Fall meistens zu dem Antibiotikum Methicillin gegriffen. Doch das Staphylococcus aureus Bakterium hat sich in den letzten Jahren verändert und wurde Antibiotikaresistent. Daher der Name MRSA: Methicillin resistenter Staphylococcus aureus. Das Antibiotikum Methicillin sowie ähnliche Antibiotika können die Bakterien nicht mehr bekämpfen. Eine Phagentherapie könnte hingegen gerade bei MRSA extrem wirksam eingesetzt werden und die meisten Krankenhauskeime vernichten und damit tausende von Leben retten. Unter anderem deshalb hat das amerikanische National Institute of Allergy and Infectious Disease die Phagentherapie 2014 auf die Liste der aussichtsreichsten Strategien gegen die ständig wachsende Zahl der antibiotikaresistenten Keime (MRSA) gesetzt.
Phagentherapie in Deutschland nur in Extremfällen erlaubt
Natürlich ist es verwunderlich, dass ausgerechnet so eine effektive und dabei noch nebenwirkungsfreie Therapie in Deutschland nicht zugelassen ist. Dafür gibt es wohl zwei Begründungen. Zum Ersten muss jeder Phage, um gezielt eingesetzt zu werden, vorher neu isoliert werden. Damit gilt in Deutschland die Rechtslage, dass die einzelnen Phagen eine neue Wirkkraft besitzen. Und hier sieht die deutsche Rechtsprechung in jedem Fall den Tatbestand eines neuen Wirkstoffs vorgegeben. Bevor jedoch in Deutschland ein neuer Wirkstoff zugelassen werden darf, muss er ein aufwendiges Zulassungsverfahren durchlaufen. Und das kostet sehr viel Geld und Zeit. Letztendlich auf Kosten des Patienten. Da die Phagentherapie noch nicht erlaubt ist, müssen die Patienten, haben sie das Glück doch in die Therapie aufgenommen zu werden, die Kosten dafür natürlich selbst übernehmen. Immerhin ist diese Therapieform von den Krankenkassen nicht anerkannt.
Gewinnorientierung statt Heilauftrag?
Und hier liegt auch die Vermutung nahe, worin die zweite Problematik bestehen könnte, warum eine Therapieform, die in anderen Ländern seit hundert Jahren erfolgreich eingesetzt wird, in Deutschland immer noch nicht anerkannt wird: am Geld. Denn es ist anzunehmen, dass die Pharmaindustrie mit der Herstellung und dem Verkauf von herkömmlichen Medikamenten wie Antibiotika viel Geld verdienen kann. Auch hinsichtlich der bereits vorhandenen Forschungen, auf die man sich stützen kann. Doch wieviel Gewinn könnte bei der Phagentherapie für die gigantische Lobby der Pharmaherstellenden Industrie herausspringen? Genaue Zahlen und Fakten gibt es nicht. Es wäre allerdings nicht erstaunlich, wenn die Gewinnspanne bei der Phagentherapie weit unter der der herkömmlichen Antibiotika-Therapie liegen würde. Und damit wäre sie weit weniger interessant für die Pharmaindustrie. Eine reine Gewinnrechnung? Und das auf Kosten der Gesundheit und des Wohlbefindens der Patienten?
Doch es gibt einen Hoffnungsschimmer. Deutsche Ärzte und Forscher sind sich einig, dass in der Phagentherapie die Zukunft liegt. Und das, obwohl sie bis heute nicht von offizieller Seite anerkannt ist, kein Weg mehr an ihr vorbei gehen kann.
Mehr Informationen zu diesem Thema:
(w) wie wissen
Leibniz-Institut DSMS
focus.de
Redaktion: Patricia Hansen
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