
Wenn es um das Thema Gesundheit geht, taucht immer wieder mal die Frage auf: „Bist Du schon zu einem Osteopathen gegangen?“ Häufig sehen einen Leute dann verdutzt an und nicht selten hört man die Antwort: „Was tut der denn?“
Obwohl der Begriff Osteopathie bereits gut verbreitet ist und schon viele darüber sprechen, können die Meisten aber nicht erklären was ein Osteopath tatsächlich tut. In einem Interview mit der Münchner Osteopathin Cecilia B. Klima haben wir uns über Osteopathie schlau gefragt.
Frage TvE: Können Sie uns in einfachen Worten erklären, was Osteopathie ist?
Cecilia B. Klima: Das ist gar nicht so einfach. Osteopathie ist eine Therapieform, die sowohl diagnostiziert als auch therapiert- und das manchmal in nur einem therapeutischen Schritt.
Der Begründer der Osteopathie Andrew Taylor Still prägte den Satz : „Find it, fix it, leave it alone“, mit dem er den Leitsatz der Osteopathie in sieben Worten herunterriss.
Es bedeutet soviel wie die Tatsache, dass ich in einer osteopathischen Diagnostik, die immer am Anfang einer jeden Behandlung steht, eine Fehlfunktion (Dysfunktion) finde und diese gemäß den osteopathischen Grundsätzen direkt therapiere. Der Körper reagiert auf diese Veränderung seines Systems mit einer Neuregulation aller Systeme im Sinne eines Resets. Dies bezeichnen wir als Selbstheilungskräfte des Körpers.
So kann es passieren, dass ein Osteopath eine Fehlstellung in einem Fusswurzelknochen findet und nach dessen Ausgleich/Therapie die ständig wiederkehrenden Iliosacralgelenk Blockierungen dieses Patienten verschwinden, die ihn immer wieder quälten.
Oder aber es wird ein Spannungsphänomen auf der Leberkapsel gefunden und der Patient verliert plötzlich nach der Behandlung seine migräneartigen Kopfschmerzen.
Frage TvE: Ist das denn bei allen Patienten gleich?
Cecilia B. Klima: Nein, es gibt Ähnlichkeiten in den Symptomen und den Dysfunktionen, aber um ehrlich zu sein, reagiert jeder Mensch anders, weil jeder Mensch andere Kompensationsmechanismen in seinem Leben entwickelt. Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, mit einer Dysfunktion sein körperliches Gleichgewicht zu stören, weil jeder Körper und jeder Mensch eine Vielzahl von Kompensationsmechanismen entwickelt, mit denen er gesund durch sein Leben und seinen Alltag schreitet.

Nehmen wir zum Beispiel an, dass eineiige Zwillinge ein absolut identisches Leben führen. Einer knickt beim Sport mit 7 Jahren mit seinem rechten Fuß um und hat eine Bänderdehnung. Dadurch verändert sich die Spannung auf seiner Beinfaszie, plötzlich kippt immer sein Becken nach vorne und er entwickelt eine Blockierung im Iliosacralgelenk. Wenn er viel läuft und schwer hebt, verkrampft sich seine Beckenmuskulatur, weil er seine Beinfaszie ausgleichen muss. Dadurch bekommt er Rückenschmerzen in der Lendenwirbelsäule, vielleicht sogar im schlimmsten Fall einen Bandscheibenvorfall in der tiefen Lendenwirbelsäule.
Sein Bruder hat diese Bänderdehnung nicht gehabt, sondern hat im Alter von 20 Jahren in einem Urlaub in Thailand einen ganz üblen Magen-Darm-Infekt erwischt, der sich hartnäckig im rechten unteren Darmbereich gehalten hat. Seitdem hat er immer wieder Schmerzen im rechten Unterbauch, was zu Verklebungen des Darms mit der Beckeninnenseite führt. Hierdurch kann es zu Bewegungsstörungen im Iliosacralgelenk kommen, die wiederum zu Schmerzen bis hin zum Bandscheibenvorfall in der unteren Lendenwirbelsäule führen können.
Zwei nahezu identische Menschen mit unterschiedlichen Kompensationsmustern auf unterschiedliche Begebenheiten können die gleichen Krankheiten auslösen. Jeder benötigt eine unterschiedliche Therapie um zu genesen, da beide unterschiedliche Erkrankungen /Dysfunktionen mit zufälligerweise ähnlichen Symptomen haben.
Frage TvE: Wie arbeitet ein Osteopath?
Cecilia B. Klima: Ein guter Osteopath arbeitet mit allen ihm zur Verfügung stehenden Sinnen. Das beginnt schon bei der Kontaktaufnahme an der Rezeption. Ich beobachte, wie sich der Patient hält, wie er sich bewegt, geht, was seine bevorzugten Bewegungsmuster sind, seinen Hautkolorit, seinen Körpergeruch, wie seine Knochen und Strukturen stehen, aussehen und sich anfühlen. Das alles fließt in meine Diagnostik ein und beeinflusst meine Grifftechnik und die Intensität meiner Techniken.
Ein Osteopath ist ein Therapeut, der sehr gut beobachtet und seine Therapie sehr emphatisch an den individuellen Patienten anpasst. Wir erlernen in unserem 4- jährigen Bachelor-Studium viele verschiedene Grifftechniken mit dem Ziel, unsere Behandlung individuell auf den einen Patienten, den wir in den Händen halten, bestmöglich abzustimmen, um ihn in seine individuelle Balance zu führen und seine individuellen Heilungskräfte zu aktivieren.

Frage TvE: Wie wird man Osteopath?
Cecilia B. Klima: Heutzutage gibt es viele gute Ausbildungszentren, die nach 4-5 Jahren Vollzeit- oder berufsbegleitendem Studium den Bachelor of Science in der Osteopathie erlangen. Diesen kann man in Deutschland noch mit einen Master-Studiengang von ca. 2 Jahren abrunden. In England und den USA besteht die Möglichkeit zu promovieren und einen Doktortitel zu erlangen.
Leider ist der Beruf des Osteopathen in Deutschland noch ungeschützt, weswegen eine Heilpraktiker-Erlaubnis notwendig ist, um frei diagnostizieren und therapieren zu dürfen.
Frage TvE: Welche Menschen kommen zu Ihnen?
Cecilia B. Klima: Im Prinzip können alle Menschen jeder Altersgruppe, die ein körperliches Leiden haben, zum Osteopathen gehen. Wie bereits erwähnt, versucht der Osteopath die Kompensationsmöglichkeiten des Körpers zu entwirren und den Ratsuchenden, da uns nicht immer Kranke oder Patienten aufsuchen, wieder in sein Gleichgewicht zu bringen.
Das können Babys sein, die eine schwere Geburt hatten oder Anpassungsschwierigkeiten in der Nahrungsaufnahme beim Stillen oder dem Trinken aus der Flasche, oder Anpassungsschwierigkeiten im Zusammenhang mit dem Tag – Nachtrhythmus, oder in der Bakterienbesiedelung des Darms, den sogenannten Dreimonatskoliken.

Weiterhin können es Kinder sein, die immer wieder über Bauch- oder Kopfschmerzen klagen, häufig mit den Füßen umknicken oder ständig hinfallen, die eher weinerlich sind, Kinder, die das sogenannte KISS- Syndrom haben, bei dem der oberste Halswirbel durch die Geburt in eine ungünstige Position gerutscht ist, weswegen sich die Kinder nur zu einer Seite drehen und bewegen können.
Es können Teenager mit juveniler Migräne, Spannungskopfschmerz, schlecht verheilten Band- oder Knochenverletzungen zu uns kommen.
Häufig suchen uns auch Erwachsene auf, die sich beim Sport verletzt haben oder immer wieder die gleiche Verletzungsserie im Lauf- oder Mannschaftssport erleiden. Insbesondere kommen hier gerne ambitionierte Hobby-, Amateur-, und Profisportler, die sich auch ohne Verletzung oder Trauma halbjährlich durchchecken lassen. So lässt sich feststellen, ob die Faszien- und Muskelketten noch in der Balance sind, sich Kompensationen entwickelt haben, die bei höher Belastung und Stress, z. B. im Wettkampf, zu langwierigen Verletzungen wie Muskelfaserrissen, Blockierungen oder Kapsel-Bandverletzungen führen können. Dies wäre eher eine präventive Therapie.
Der Großteil unserer Patienten (ungefähr 65%) sind Frauen und Männer, die mit Kopfschmerzen, Nackenschmerzen oder Schulterschmerzen zu uns kommen und wir feststellen, dass die Ursache im Magen-Darm-Trakt, in Rippenblockierungen oder faszial im Zusammenspiel der Fixierungen der Bauch- und Brustkorborgane zu finden ist.
Nicht selten finden wir auch gynäkologische Probleme, die zu starken Wechseljahrsbeschwerden, ungewollter, nicht organisch bedingter Unfruchtbarkeit, Kiefergelenksfehlstellungen (bedingt durch Knirschen oder Pressen des Kiefergelenks im Schlaf) führen, oder Steißbeinverletzungen durch Stürze auf das Gesäß, die manchmal schon 10 – 15 Jahre zurückliegen und die gesamte Wirbelsäule bis zum Kopf hoch gestaucht haben.

Frage TvE: Wo ziehen Sie die Grenze zwischen dem Beruf des Osteopathen und dem des Physiotherapeuten?
Cecilia B. Klima: Auch wenn beide Berufe für den Patienten ähnlich aussehen, so haben beide nebeneinander ihre Daseinsberechtigung und ein guter Osteopath kann nicht das, was ein guter Physiotherapeut kann und umgekehrt.
Der Osteopath diagnostiziert und therapiert passiv, was häufig aber nicht immer zur Schmerzfreiheit und zur Wiederaufnahme des normalen Alltags führt.
Der Physiotherapeut arbeitet auf Anweisung des Arztes und therapiert sozusagen mit dem Arzt Hand in Hand, da er selber nicht diagnostizieren darf. Er lockert und löst zwar auch Muskeln, Faszien und Gelenke, jedoch immer auf Anweisung des Arztes und immer mit anschließender Kräftigung und Übungsanleitung, um den Körper zu dehnen, zu kräftigen oder die Alltagsbewegungen wieder zu beüben und einzuschleifen.
Insbesondere bei der Wiedereingliederung ins Berufsleben, nach Operationen, nach Unfällen oder bei Vermeidung von krankmachenden Bewegungsmustern (wie Z. B. dem typischen „Schulterhochziehen“), in der Haltungsschulung und bei neurologischen Erkrankungen ist dieser Beruf ganz wichtig und hier ganz klar vom Osteopathen abgrenzbar, da dies der Osteopath nicht erlernt hat und auch nicht vermitteln kann.
Frage TvE: Wie kamen Sie auf die Idee, diesen eher außergewöhnlichen Beruf zu erlernen?
Cecilia B. Klima: Ursprünglich habe ich Physiotherapie erlernt, jedoch wurde mir sehr schnell klar, dass ich lieber selber diagnostizieren wollte und meine Therapie auf meine eigene Diagnostik aufbauen wollte. Viele Patienten kamen mit Rezepten zu mir, auf denen der behandelnde Arzt lediglich LWS Syndrom, etc. als Diagnose verordnet hatte. Dies hat aber wenig Aussagekraft. Ich wollte immer wissen, warum ein Mensch an dieser einen Stelle Schmerzen hat und warum sich immer wieder dieses eine Gelenk blockiert. Die Frage: „Wodurch entwickelt sich die Erkrankung und warum geht sie bei dem Patienten diesen einen Weg und keinen anderen?“ hat mich gefesselt. Diese Erklärung fand ich in der Osteopathie. Während des Studiums habe ich wunderbare Techniken erlernen dürfen. Hiermit ist es mir möglich, Dekompensationen auszugleichen. Zeitgleich kann ich dem Patienten anschaulich erklären, was zum Schmerz und der folgenden Krankheit geführt hat.
Die Osteopathie ist zugleich Beruf und Leidenschaft. Als eine der ersten Osteopathen Münchens habe ich mich vor 20 Jahren für dieses Studium entschieden und somit eine komplett neue Sichtweise gewonnen. Jeder neue Tag bringt neue Patienten mit so unterschiedlichen Krankheitsbildern – darin liegt der Reiz und die Herausforderung.

Einer meiner Dozenten (Max Giradin), den ich für sein Wissen und sein Können sehr bewundere, hat einmal gesagt, dass Osteopathie eine Lebensanschauung und das Studium eine Veränderung seiner Sichtweisen ist. Damals dachte ich, dass es ein bisschen übertrieben wäre, Osteopathie so zu sehen. Jedoch muss ich heute sagen (und sage es auch immer wieder meinen Studenten), wenn man es einmal verstanden hat, wie dieses System Mensch mit all seinen Faszien und embriologischen Zusammenhängen funktioniert, kann man nicht mehr aufhören, osteopathisch zu denken, sei es beim Besuch im Schwimmbad mit Blick auf die Schwimmgäste, in der Fußgängerzone mit Blick auf die entgegenkommenden Passanten oder beim Händeschütteln zur Begrüßung meines Gegenübers. Man wird so fein in der Beobachtung und dem Erfühlen von Dysbalancen in anderen Körpern. Und ja – nachträglich kann ich nur zustimmen – es hat mich als Mensch und nicht nur als Therapeut verändert.
Redaktion: Osteopathin Cecilia B. Klima

Bilder: Verband der Osteopathen Deutschland e.V.
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Jonas says
Ich finde es toll, dass du hier einige Tipps und Tricks zur Osteopathie teilst. Das ist wirklich hilfreich!
Jan Dijkstra says
Gut zu wissen, dass ein Osteopath ein besonderes Auge für das Verhalten des Patienten haben muss. Ich habe mit 45 einen Schlaganfall gehabt, was auf zu viel Stress zurückzuführen war. Durch diesen Vorfall habe ich noch immer mit meiner Motorik einige Probleme. Ein Freund hat mir letztens vorgeschlagen, einen Fachmann der Osteopathie zu besuchen.
Lena says
Danke für den tollen Beitrag über Osteopathie. Mir war gar nicht bewusst, dass Umknicken im Kindesalter zu Rückenbeschwerden im Erwachsenenalter führen kann. Ich werde wohl jetzt etwas mehr auf Bagatellverletzungen achten, und ob sich daraufhin etwas verändert.
Hannes Bartschneider says
Ich überlege zu einer Osteopathie zu gehen. Interessant, dass der Großteil der Patienten mit Kopf-, Nacken-, oder Schulterschmerzen hat. Gerade Kopfschmerzen sind auch mein Hauptproblem.
Anastasia Frühauf says
Ich war vor Kurzem erst beim Osteopathen, da ich seit einiger Zeit Schmerzen in meinem Rücken habe. Das wurde dann auf eine alte Kindheitsverletzung zurückgeführt. Ich finde es interessant, dass jeder Mensch anders reagiert, da jeder andere Kompensationsmechanismen entwickelt. Eine Freundin von mir hatte die gleiche Verletzung und sie hat keine Rückenschmerzen.
Adrian Graur says
Ich habe auch viel über Osteopathie gehört, wusste aber nicht, was es eigentlich ist. Vielen Dank für die Erklärung, wofür dieses Verfahren genutzt sein kann. Gut zu wissen, dass ein Osteopath eher für Diagnose und passive Therapie zuständig ist, während der Physiotherapeut aktive Behandlungen durchführt.
rolla says
Danke für die tollen informationen bezüglich der Osteopathie. Ich höre, aus dem Bekanntenkreis, sehr viel zu der Osteopathie, weshalb ich mehr informationen dazu haben wollte. Ich hätte nicht gedacht, dass es gegen so viele Schmerzen helfen könnte.
Tyler Padleton says
Danke für die Erklärung, was Osteopathie eigentlich ist. Mein Vater leidet seit längerem an Rückenschmerzen und möchte sich im nächsten Jahr einer Behandlung durch Osteopathie unterziehen. Interessant, dass man nach einem Studium der Osteopathie nicht mehr aufhören kann, osteopathisch zu denken.
Julia Schwarzmann says
Danke für den interessanten Artikel über das Thema Osteopathie. Wie Sie schreiben, können Babys, Jugendliche und Erwachsene anders reagieren. Deswegen ist es wichtig, dass Osteopathen eine individuelle Behandlung durchführen.