TvE – Sondertipps
Alles was uns unter den Nägeln brennt
Herausgeber: Walter Braun – Fachredaktion: Dipl. oec. troph. Tamas Nagy
In den letzten Jahren wurde Deutschland von zahlreichen Lebensmittelskandalen erschüttert. Auslöser waren unkorrekt behandelte und verdorbene Fleischwaren, die in den Handel und schließlich in den Magen des Verbrauchers gelangten. Während 2005 die „Hackfleisch-“, „Schlachtabfall-“ und „Kühlhausskandale“ für Aufregung sorgten, erhitzte 2006 der „Gammelfleischskandal“ die Gemüter. Angesichts der gehäuften Vorfälle bangen inzwischen viele Konsumenten um ihre Gesundheit. Doch so ekelhaft „Gammelfleisch“ sein mag: Ist es auch genauso gefährlich?
Handelt es sich um reine Fleischstücke wie Putenbrust oder Schweineschnitzel, so weisen bereits Geruch, Aussehen und Geschmack der gekauften Ware darauf hin, ob sie noch genießbar ist oder nicht. Ein muffig riechendes, schmierig wirkendes und seltsam schmeckendes Stück Fleisch wird kein Verbraucher freiwillig verzehren wollen.
Anders sieht es bei Fleischprodukten aus, die zuvor verarbeitet, vermischt oder gewürzt wurden. Hier kann sich der Konsument nur noch beschränkt auf Nase und Gaumen verlassen. Schließlich lässt sich beispielsweise mit starken Gewürzen so manch unappetitlicher Beigeschmack übertünchen.
Doch sind manipulierte Waren dieser Art zwangsläufig gesundheitsschädlich? Wohl kaum, denn ob jemand an einer verdorbenen Fleischportion erkrankt oder nicht, hängt in erster Linie davon ab, welche Bakterien sich darauf tummeln. Die so genannte Verderbnisflora, die für die Geruchs- und Geschmacksveränderungen verantwortlich ist, birgt in der Regel nur ein geringes Gesundheitsrisiko. Dazu zählen nämlich typischerweise Milchsäurebakterien, Pseudomonaden oder auch Hefen. Wesentlich gefährlicher sind die krankheitserregenden Keime, also etwa Salmonellen, Staphylokokken oder EHEC (enterohämorrhagische E. Coli).
Gammelfleisch: Nicht gefährlicher als Rohkost?
Was aber, wenn sich auch solche pathogenen Bakterien auf dem Gammelfleisch befinden? Nun: Selbst das führt noch nicht unbedingt zu einer Lebensmittelvergiftung, denn diese setzt stets eine bestimmte Anzahl krankmachender Keime voraus, das heißt die Erreger müssen sich vorher entsprechend vermehrt haben. Ob am Ende tatsächlich eine infektiöse Keimzahl vorliegt, hängt unter anderem von den hygienischen Verhältnissen bei der Schlachtung und von den Lagerbedingungen ab.
Dabei gilt: Je kühler ein Fleischprodukt gelagert und je strikter die Kühlkette eingehalten wird, desto geringer die Gefahr eines Bakterienwachstums. Ist das Fleisch gefroren, so nimmt sein Keimgehalt im Laufe der Lagerung sogar ab. Denn bei Minustemperaturen überleben nur noch Bakteriensporen sowie spezielle Mikroorganismen, die sich unter sehr kühlen Bedingungen vermehren können.
Weiter verringert wird das Risiko einer Lebensmittelvergiftung durch das Erhitzen des Fleisches vor dem Verzehr, zumal unliebsame Keime durch hohe Temperaturen zuverlässig abgetötet werden. Demnach ist Gammelfleisch nicht gefährlicher als andere Lebensmittel, die unsachgemäß behandelt wurden. Im Gegenteil: Bei einem verdorbenen, also unappetitlichem Produkt wird der Konsument sogar schneller darauf aufmerksam, dass hier auch Krankheitserreger im Spiel sein könnten. Das ist vor allem deshalb entscheidend, weil sich pathogene Keime in der Regel auf allen möglichen Lebensmitteln befinden oder vermehren können, ohne dass es bei diesen zu wahrnehmbaren Veränderungen kommt.
Damit ist der Konsum von schwach erhitzen Muscheln und Konserven oder von Rohkost wie Salat und Sushi wesentlich riskanter als der Verzehr von etwas Gammelfleisch (vgl. Spezialtipp zum Gesundheitsrisiko durch Rohkost – Anfang 2007). Wenig verwunderlich also, dass sich die Fleischskandale der letzten Jahre nicht merklich in den Statistiken zur Häufigkeit von Lebensmittelinfektionen niederschlugen.
Lebensmittelvergiftung: Vorbeugen mit allen Sinnen
Andererseits ist verdorbenes Fleisch nicht immer harmlos – zumindest dann, wenn sich während der Lagerung auch krankheitserregende Keime darauf vermehren und es vor dem Verzehr nicht ordentlich erhitzt wird. Im diesem Fall kann Gammelfleisch durchaus eine klassische Lebensmittelvergiftung hervorrufen, also typische Magen-Darm-Beschwerden wie Übelkeit, Erbrechen, Bauchkrämpfe, Durchfälle und Kopfschmerzen.
In der Regel klingen die Symptome bei einem gesunden Erwachsenen nach einigen Tagen ab. Bleiben sie jedoch länger bestehen, so sollte wegen der Gefahr einer Austrockung ein Arzt aufgesucht werden. Das gilt vor allem dann, wenn Säuglinge, Kleinkinder, Schwangere oder ältere Menschen von starkem Durchfall bzw. Erbrechen betroffen sind. Auch wenn der Stuhl Blut, Schleim oder Eiter aufweist, ist unverzüglich ein Mediziner zu kontaktieren.
Vor diesem Hintergrund stellt sich natürlich die Frage, wie der Verbraucher einer potenziellen Lebensmittelvergiftung durch Gammelfleisch vorbeugen kann. Zum einen sollte er sich das Fleisch beim Einkauf genau ansehen. Während Geflügel- und Schweinefleisch normalerweise hell- bis dunkelrosa sind, haben Rind, Lamm und Wild gewöhnlich eine rote bis dunkelrote Farbe. Bei bräunlichem, gräulichem oder fleckigem Fleisch ist also Vorsicht geboten. Außerdem ist frisches Fleisch in der Packung fast trocken und glänzend. Nässende, schmierige oder blasse Produkte sind daher verdächtig. Nicht zuletzt muss das Fleisch fest sein und sollte sich nicht leicht eindrücken lassen. Auch beim Öffnen der Verpackung sind die Sinne bei der Beurteilung der Fleischqualität hilfreich. Riecht das Produkt weder neutral noch leicht säuerlich, sondern eher süßlich, muffig oder einfach nur „merkwürdig“, so sollte es zum Händler zurückgebracht werden. Wichtig ist daneben, dass die Fleischtüte vor dem Öffnen keine Risse aufweist und sich darin weder Eis noch Wasser befinden, zumal diese auf ein früheres Auftauen hindeuten können. Im Falle von manipulierten Fleischwaren kam es bereits häufiger vor, dass nicht verkaufte Tiefkühlware einfach als Frischfleisch angeboten wurde.
Bei marinierten bzw. gewürzten Produkten ist es hingegen schwer, frische von verdorbener Ware zu unterscheiden. Wer hier sicher gehen will, dass kein Gammelfleisch auf dem Teller landet, sollte reines Fleisch kaufen und dieses selbst einlegen sowie würzen.
Fleischkühlung: Je kälter, desto besser
Nicht minder wichtig ist das korrekte Handling von Fleisch im Haushalt. Dabei gilt es in erster Linie, keine großen Fleischmengen auf Vorrat zu kaufen, denn eine lange Aufbewahrung – auch bei kühlen Temperaturen – gibt potenziell vorhandenen Pathogenen die Chance für eine Vermehrung. So hält sich etwa Schweinefleisch bei null bis vier Grad gerade mal zwei bis drei Tage und Rindfleisch drei bis vier Tage. Produkte wie Hackfleisch hingegen sollten noch am selben Tag verbraucht werden. Die Aufbewahrung in der Gefriertruhe ist zwar sicherer, doch auch hier gibt es Fristen: Nach der Fleischhygieneverordnung sollte Rindfleisch maximal anderthalb Jahre und Schweinefleisch nur ein halbes Jahr auf Eis lagern. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Ware möglicherweise schon vor dem Kauf lange Zeit tief-gefroren wurde. Das Auftauen hat ebenfalls seine Tücken. Weil die dabei entstehende Flüssigkeit vermehrt Keime enthalten kann, ist es ratsam, sie möglichst rasch und vollständig zu entsorgen.
Tipps:
- Bei reinen Fleischstücken wie z. B. Putenbrust oder Schweineschnitzel weisen bereits Geruch, Aussehen und Geschmack der gekauften Ware darauf hin, ob sie noch genießbar ist oder nicht.
- Vorsicht ist geboten bei: • bräunlicher, gräulicher oder fleckiger Farbe, • süßlichem, muffigen oder „merkwürdigem“ Geruch,• nässenden, schmierigen oder blassen Produkten.
- Wer bei marinierten bzw. gewürzten Produkten sichergehen will, dass kein Gammelfleisch auf dem Teller landet, sollte reines Fleisch kaufen und dieses selbst einlegen sowie würzen.
- Im Kühlschrank hält sich Schweinefleisch 2-3 Tage und Rindfleisch 3-4 Tage. Leicht verderbliche Produkte wie Hackfleisch sollten möglichst noch am selben Tag verbraucht werden. In der Tiefkühltruhe bleiben Fleischwaren länger frisch, doch auch hier gibt es Fristen.
- Im Falle einer Lebensmittelvergiftung sollte stets ein Arzt aufgesucht werden, wenn die Symptome nach einigen Tagen nicht von selbst abklingen. Bei Säuglingen, Kleinkindern, Schwangeren und älteren Menschen ist vor allem bei starkem Durchfall und Erbrechen unverzüglich ein Mediziner zu kontaktieren.
Ein schlechter Ratgeber: das Mindesthaltbarkeitsdatum
Es soll immer noch Verbraucher geben, die Lebensmittel streng nach dem Mindesthaltbarkeitsdatum beurteilen und diese nach Überschreitung der Frist sofort in den Mülleimer werfen. Ob sie damit tatsächlich einer Lebensmittelvergiftung vorbeugen, ist eher zweifelhaft. Im Falle von Gammelfleisch ist diese Praxis sowieso überflüssig, denn hier wird oftmals abgelaufene Ware neu etikettiert und das Haltbarkeitsdatum um mehrere Tage bis Monate verlängert. Aber auch ansonsten ist auf das Mindesthaltbarkeitsdatum wenig Verlass. Es sagt nämlich nur etwas darüber aus, wie lange eine Ware mindestens haltbar sein muss, wenn sie korrekt gelagert wird. Mit anderen Worten: Ist es überschritten, so bedeutet das nicht zwangsläufig, dass ein Produkt nicht mehr genießbar ist. Andererseits kann eine Ware natürlich auch verdorben sein, obwohl das angegebene Datum noch nicht erreicht wurde. Hier sind also mal wieder die Sinne des Konsumenten gefragt, das heißt Augen, Nase und Gaumen. Diese dienten übrigens auch in der Vergangenheit als verlässliche Kriterien zur Beurteilung der Lebensmittelqualität – also zu jenen Zeiten, als es noch kein Mindesthaltbarkeitsdatum gab. Weil die meisten Fleischwaren genauso wie andere Lebensmittel nach Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums nicht automatisch verdorben sind, dürfen sie auch darüber hinaus verkauft werden – vorausgesetzt, sie sind in einem einwandfreien Zustand. Anders sieht es bei sehr leicht verderblichen Produkten wie z. B. Hackfleisch aus. Diese tragen kein Mindesthaltbarkeitsdatum, sondern ein Verbrauchsdatum. Dabei handelt es sich um eine vergleichsweise konkrete Angabe, denn das Verbrauchsdatum gibt darüber Auskunft, bis zu welcher Frist die kritische Ware verbraucht sein sollte. In diesem Fall macht es für den Konsumen-ten wirklich Sinn, sich nach dem angegebenen Datum zu richten.
Zum Autor : Tamás Nagy ist Ernährungswissenschaftler, freier Fachjournalist und Redakteur der Zeitschrift EU.L.E.n-Spiegel, die vom Europäischen Institut für Lebensmittel und Ernährungs-wissenschaften (EU.L.E) herausgegeben wird.
Glossar (Erklärungen)
- EHEC (Enterohämorrhagische Escherichia coli): Krankheitserregender Stamm des Darmbakteriums Escherichia coli, der eine blutige Entzündung des Dickdarms hervorruft. Er wird vor allem über Rohkost (Rohmilch, rohes Fleisch, rohes Obst und Gemüse) aufgenommen und führt schon in geringer Keimzahl zur Durchfaller-krankung. Insbesondere bei Kleinkindern und älteren Menschen kann es in der Folge zu lebensbedrohlichen Komplikationen kommen, die mit einer Schädigung der Blutzellen und des Nervensystems einhergehen.
- Milchsäurebakterien: Diese Mikroorganismen bauen Zucker zu Milchsäure ab und gehören zu den wichtigsten Vertretern der menschlichen Darmflora. In Kuhmilch sind sie üblicherweise mit rund 20 000 Keimen pro Milliliter Milch vertreten und werden darüber hinaus zur Konservierung von Lebensmitteln (Joghurt, Sauermilch, Sauerteig) eingesetzt.
- Pathogene Keime: Bakterien, die beim Menschen eine Erkrankung auslösen können.
- Pseudomonaden: In der Umwelt weit verbreitete Bakterien, die zum Wachstum Sauerstoff benötigen. Während sie bei Menschen mit intaktem Immunsystem nur selten Erkrankungen verursachen, können sie bei Krankenhauspatienten zur Infektion von Wunden, Atem- und Harnwegen führen.
- Salmonellen: Darmbakterien, die beim Menschen meist spontan ausheilende Durchfallerkrankungen (Salmonellosen) verursachen. Infektionsquellen sind vor allem tierische Nahrungsmittel wie Geflügelfleisch oder Eier. Als Schutzmaßnahme eignet sich die Erhitzung von Lebensmitteln, beispielsweise auf 70 Grad Celsius für mindestens 10 Minuten. Salmonellosen sind in Deutschland gemäß dem Infektionsschutzgesetz meldepflichtig.
- Staphylokokken: Diese Keime können hitzestabile und unverdauliche Darmgifte bilden, welche bereits 1-6 Stunden nach der Aufnahme zu Übelkeit, Durchfall und Erbrechen führen. Die Vermehrung von Staphylokokken lässt sich durch kühle Temperaturen (unter 7 Grad Celsius) effektiv unterbinden.
Einen guten Appetit wünscht das Team von www.tipps-vom-experten.de
Herausgeber: Tipps vom Experten – Walter Braun, Kirchenstraße 79, 81675 München, Tel. 089 / 450 79 725
Wiedergabe – auch auszugsweise – nur mit schriftlicher Genehmigung des Herausgebers.
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Caroline Wagner says
Hallo! Manchmal wünsche ich mir mehr solcher Artikel. Vielen Dank. Grüße