Gerade auf dem Dachboden oder im Keller lagern in vielen deutschen Haushalten lagern noch unzählige Briefe, Rezepte oder Berichte aus der Vergangenheit – meist in verschnörkelter Sütterlinschrift geschrieben. Wer sich nicht mehr in der Kunst dieser Schriftweise versteht, kann bei der Schriftexpertin Claudia Schulze Hilfe bekommen. Sie überträgt diese wertvollen Schriftstücke – und weiß auch viel über die Geschichte und Entstehung des Sütterlins zu berichten…
In vielen deutschen Haushalten befinden sich immer noch wahre
Schätze, mit denen leider die meisten Menschen ohne fremde Hilfe nichts anfangen können. Bei diesen Schätzen handelt es sich meist um Omas alte handgeschriebenen Kochrezepte, Tagebücher, Reiseerinnerungen, Liebesbriefe und Feldpost. Diese Schriftstücke sind stille Zeitzeugen der Vergangenheit. Sie erzählen Geschichten über Leid und Freud aus einer fremden Zeit, einer Zeit, als der deutsche Kaiser noch das Zepter in der Hand hielt, die Weimarer Republik gegründet wurde oder die jungen Männer im Ersten oder Zweiten Weltkrieg ihr Leben ließen. Das Problem dabei: Kaum jemand kann diese Erzählungen lesen. Denn sie sind in Sütterlinschrift geschrieben. Und diese Schrift wird an keiner Schule mehr gelehrt.
Inhalt
- Feldpost aus dem 1. Weltkrieg rührt zu Tränen
- Den Kindern das Schreiben erleichtern
- Sütterlin als „Geheimschrift“
- Hitler verbietet die Sütterlinschrift
- „Butter für drei Denarius!“
- Sütterlin selber erlernen
Feldpost aus dem 1.Weltkrieg rührt zu Tränen
Doch es gibt eine Lösung für dieses Problem. Einige wenige Menschen sind in der Kunst der Sütterlinschrift noch bewandert. So auch die Schriftexpertin Claudia Schulze. Eine ihrer Dienstleistungen sind die Übersetzungen oder Übertragungen alter Schriftstücke, Dokumente oder Briefe vom Sütterlin in die gängige Schrift. „Mein größtes und emotionalstes Interesse sind natürlich die Feldpostkarten und -briefe aus dem 1. und 2. Weltkrieg. Die Briefe sind sehr anschaulich geschrieben. Beim Übertragen kann ich mich sofort in die damalige Zeit versetzen und regelrecht die Granaten krachen hören“, beschreibt Claudia Schulze ihre Tätigkeit. „Die anfängliche Begeisterung dem Deutschen Vaterland dienen zu dürfen wurde schnell von der Realität abgelöst. Ängste, Hunger, Kälte und der Tod der Kameraden sind wie die Sehnsucht nach der Heimat in jeder Zeile deutlich spürbar. So sehr, dass mir beim Übertragen manchmal sogar die Tränen über das Gesicht laufen!“ Wie bewegend und spannend muss diese Lektüre für die nächsten Angehörigen und Nachkommen erst sein. Ein Grund mehr, diese alten Schriftstücke entziffern zu lassen.
Den Kindern das Schreiben erleichtern
1911 begann der Siegeszug der Sütterlinschrift. Bis dahin war es Mode geworden mit der neu entwickelten, stählernen Spitzfeder zu schreiben. Diese Schrift war sehr schräg mit großen Unter- und Oberlängen und einem veränderlichen Strich, auch Schwellzug genannt. Das sah zwar sehr dekorativ aus, war aber technisch schwer zu schreiben. Vor allem die Schulkinder hatten unter dieser Schrift zu leiden. Deshalb gab das preußische Kultur- und Schulministerium dem Grafiker und Pädagoge Ludwig Sütterlin den Auftrag, eine neue Schrift zu entwickeln, die wesentlich leichter erlernbar und zu schreiben war. Sütterlin vereinfachte daraufhin die Buchstabenform, verringerte die Ober- und Unterlängen in ein Verhältnis von 1:1:1, stellte die Buchstaben aufrecht und stellte gleichzeitig von der unpraktischen Spitzfeder auf die Kugelspitzfeder um. Die Kugelspitzfeder wurde extra zur Einführung der Sütterlinschrift von dem Bürogerätehersteller Friedrich Soennecken entwickelt. Durch den kugeligen Kopf war sie wesentlich robuster gegenüber unterschiedlichen Haltungen der Feder. Nicht nur die Kinder waren begeistert von der neuen Schrift. Und 1920 setzte sich das Sütterlin entgültig als gängige Schrift gegen die Kurrentschrift durch.
Sütterlin als „Geheimschrift“
Von ihrer Mutter hatte Claudia Schulze die Sütterlinschrift bereits in der Schulzeit gelernt. Und sie hat sie sofort auch zu ihren Gunsten genutzt. Sie brachte ihrer Freundin das Sütterlinschreiben bei. Seitdem konnten sich die beiden ungestört während des Unterrichts „geheime“ Zettel zuschicken, deren Inhalt keiner entziffern konnte. „Wir hatten unseren Spaß – sehr zum Missfallen unserer Lehrer!“
Hitler verbietet die Sütterlinschrift
1935 hatte sich das Sütterlin in leicht abgeänderter Form – leichte Schräglage, weniger Rundformen – als Deutsche Volksschrift endgültig in den offiziellen Lehrplan integriert. Eine lange Lebenszeit war ihr allerdings nicht gewährt. Bereits am 1. September 1941 verbot der Kanzleichef der NSDAP Martin Bormann im Auftrag von Adolf Hitler in einem Rundschreiben die Sütterlinschrift, nachdem wenige Monate zuvor die Verwendung gebrochener Druckschrift untersagt worden ist. Warum das so war, ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Die Deutschen mussten sich wieder einmal umstellen. Als Ausgangsschrift galt ab 1942 in den deutschen Schulen die auf die lateinische Schrift aufbauende Deutsche Normschrift. Die Proportionen änderten sich auf 2:3:2, Schrägstellung und Ovalformen. Allerdings übernahmen nicht alle deutschen Bundesbürger sofort diese Veränderung. Viele Mitbürger älteren Jahrgangs haben sich mit der Umstellung nie wirklich abgefunden und weiterhin in Sütterlin geschrieben. An westdeutschen Schulen wurde nach 1945 außer der lateinischen Ausgangsschrift die deutsche Schreibweise Sütterlin in Grund- und weiterführenden Schulen teilweise bis in die 1970er Jahre zusätzlich gelehrt.
„Butter für drei Denarius!“
Für Claudia Schulze bedeuten die Übertragungen von alten Schriftstücken in Sütterlin immer eine wahre Freude und ein Blick zurück in die Vergangenheit. „Besonders angetan hat es mir neben der Feldpost vor allem alte Kochrezepte und Reisebeschreibungen. Gerade erst habe ich ein altes Backbuch übersetzt. Noch beim Arbeiten lief mir regelrecht das Wasser im Munde zusammen. An Omas geheime Rezepte kommt einfach niemand heran. Kein Wunder, dass ich einige der Backanweisungen selbst ausprobieren musste. Mit schmackhaftem Erfolg, darf ich sagen!“ Einige Probleme gibt es allerdings bei der praktischen Umsetzung der Rezepte. Die Mengen werden oft in Lot und nicht in Gramm angegeben. Noch komplizierter wird es, wenn noch nicht einmal – für damalige Zeit typisch – Maßeinheiten gibt. „Wenn in dem Rezept angegeben ist, dass für den Kuchen Butter für drei Denarius, der damalige Pfennig, ausreicht, kann ich auch nichts mehr machen“, beschreibt Claudia Schulze die Schwierigkeiten beim Sütterlin.
Sütterlin selber erlernen
Wer selber in der Kunst des Sütterlin-Lesen und -Schreiben ausgebildet werden möchte, kann sich beim Claudia Schulze (www.schreibstuebchen.com) anmelden. Claudia Schulze plant die Kurse im Stadtgeschichtshaus in Mettmann in Originalkulisse eines Schulraums des 19.Jahrhunderts mit alten Möbeln und einer großen Schiefertafel abzuhalten.
Redaktion: Patricia Kurz
Fachredaktion: Claudia Schulze, www.schreibstuebchen.com
Bilder: Claudia Schulze, www.schreibstuebchen.com,
Schriftzug: Will Software GmbH, http://www.will-software.com/
Laura says
Ich finde Sütterlinschrift sieht so schön aus und ich würde so gerne so schreiben können! Leider kann ich es überhaupt nicht lesen.. Ich habe letztens alte Tagebücher von meiner Oma gefunden, die ich nun übersetzen lassen möchte. So viel über die Geschichte wusste ich gar nicht. Am spannendsten finde ich wirklich die Geschichten, die in diesem Schrift geschrieben wurden.