Kurzlebiger BDSM-Hype oder lang erwartete Befreiung?
Während die meisten Passagiere in den öffentlichen Verkehrsmitteln nach wie vor auf ihre Smartphones starren und der andere Teil sich laut über Streitereien mit dem Partner oder das schlechte Wetter äußert, findet man immer wieder (meist weibliche) Personen, die in einem der drei 50 Shades of Grey-Romane blättern.
Das Blättern gleicht allerdings eher einem völligen Aufsaugen der Geschichte von Mr. Grey und Ana. Und die Dunkelziffer ist sicher hoch, denn die allermeisten Leser/innen werden das Buch wohl eher auf einem eBook-Reader lesen. Hätte man sich vor ein paar Jahren wohl noch über die etwas andere Alltagsliteratur der Fahrgäste gewundert oder gar fremd-geschämt, wird diesem Szenario heutzutage wohl kaum mehr Aufmerksamkeit geschenkt.
Doch handelt es sich bei der oftmals als “Hausfrauen-Porno” bezeichneten Trilogie von E. L. James tatsächlich um die lang ersehnte Befreiung der Frau oder ist es doch eher ein kurzlebiger Hype, den uns Kino und Literatur nur so vermitteln?
Zwischen Tabubruch und freier Sexualität – wir gehen dem Phänomen 50 Shades of Grey auf die Spur.
Ein Roman im Aschenputtel-Softporno-Stil: Handelt es sich bei 50 Shades of Grey tatsächlich um die Phantasie jeder Frau? Und falls ja, hat die oftmals hart kritisierte und stark polarisierende Trilogie wirklich etwas mit unterdrückten weiblichen Phantasien zu tun?
Ein unschuldiges und schüchternes Mädchen trifft auf einen distanzierten und harten Geschäftsmann. Das Geheimrezept: Viel Faszination, seichte Dialoge, ein gewöhnungsbedürftiges Spielzimmer und die große Sehnsucht. Die Sehnsucht der devoten Ana und des kontrollierten Mr. Grey, welche die beiden trotz einer Menge Schwierigkeiten so fest zusammenhält. Die Literaturstudentin verliebt sich in Christian, welcher auch Gefallen an der unberührten Angestellten findet. Dazu kommt, dass der Protagonist nicht nur über Millionen am Konto verfügt, sondern auch über große Muskeln und wunderschöne Augen. Prinz Charming, is it you? Nach dieser Kurzbeschreibung wundert es wohl niemanden, dass es sich bei dem jungen Unternehmer um einen wahren Frauenschwarm handelt. Wäre Christian Grey ein alter, hässlicher und erfolgloser Kerl, wären die Filme und Bücher wohl nicht so beliebt in der Damenwelt. Bei Ana handelt es sich übrigens um eine ganz normale Frau: Nicht wirklich auffällig, schüchtern und zurückhaltend. Ihr Profil ähnelt dem der zahlreichen Leserinnen oder Zuschauerinnen.
Zugegeben: Das klingt zunächst einmal ein wenig nach einem sexualisierten Märchen, wie es auch aus der Feder Disneys stammen könnte. Ein Roman, der nicht nur die Kinokassen gefüllt hat. Auch Sexshops, BDSM-Workshops oder Fetisch-Partys haben den Hype positiv zu spüren bekommen. Nach der Kurzanalyse der zwei Hauptprotagonisten kann man die Frage nach dem “Warum?” wohl auch ganz einfach lösen: Die Fans des ‘Hausfrauen-Pornos’ können sich mit Ana problemlos identifizieren. Dies erklärt auch, warum Jahre nach dem Erscheinen der Bücher, die Kinos noch immer so voll sind – und das trotz zermürbender Kritiken und Reviews.
Ob der Hype um 50 Shades of Grey, den reichen Unternehmer Christian und sein Spielzimmer nach dem letzten Filmteil abflachen wird? Möglicherweise werden ähnliche Romane, typische Jennifer-Aniston-Filme und weiteres Sexspielzeug in den verschiedenen Grautönen nachkommen. Garantiert wird man noch den ein oder anderen schlechten Witz von der eigenen Mutter oder dem Vater bezüglich der Trilogie zu hören bekommen – peinliche Berührtheit inklusive. Denn eines ist offensichtlich: Die Inhalte und angesprochenen Themen des Buches haben die Massen erreicht. Und so schnell wird uns dieses Phänomen auch nicht mehr verlassen.
Doch was ist eigentlich der Grund dahinter? Viele Frauen – natürlich auch Männer – haben geheime Phantasien. Phantasien, die oftmals nicht ausgelebt werden. Sei es, dass die Person zu schüchtern dafür ist oder einfach der passende Partner für die Umsetzung fehlt. Abgesehen davon, findet man immer mehr Pornografie in unseren Alltag. Pornografie, die allerdings ein komplett falsches Bild von Sexualität vermittelt. Die unterwürfige Frau mit dem perfekten Busen, die alles mit sich machen lässt, trifft auf den Kerl mit heißem Körper, der die Partnerin total unter seine Fittiche nimmt. Das Problem dahinter? Solche überspitzten Pornos stillen unsere sexuelle Lust nicht, sie verstärken den Hunger nur immer mehr. 50 Shades of Grey nimmt zwar die SM-Thematik mit auf, fügt allerdings noch den Zärtlichkeits-Faktor ein. Der fürsorgliche Christian Grey, der sich um die Gefühlslage der unerfahrenen Ana kümmert und auf diese auch in jeglicher Hinsicht eingeht.
Und genau das ist es, was viele Frauen wollen. Der Traum vom schönen, reichen Prinzen, der zudem für scheinbar extrem guten Sex sorgt. Sie wollen von einem charmanten und attraktiven Mann umworben werden. Viel Begierde, Erotik und das Gefühl, mehr als nur eine bloße “Durchschnittsbeziehung” zu führen. Die Autorin zeigt den Frauen eine Welt, welche bei vielen schon seit langer Zeit – zumindest in den Köpfen – existiert. Ein dominanter Partner, der immer wieder für Überraschungen und viele Stellungswechsel sorgt – Langeweile ist in dieser Welt in 50 Graustufen ein Fremdwort.
Doch diese Dominanz, dieses Begehrt-werden und BSDM ist in den meisten Schlafzimmern – und auch Beziehungen – einfach nicht vorhanden. Außerdem: Haben Sie schon einmal das Publikum im Saal von 50 Shades of Grey angesehen? Zum Großteil werden hier ausschließlich Damen Popcorn naschen und den attraktiven Christian Grey anhimmeln. Die männlichen Partner sind hier zumeist fehl am Platze. Das außergewöhnliche Sexspielzeug mag zwar auch die sexuelle Phantasie der Männer entfachen, Gespräche mit dem Mann wird es daraufhin aber kaum geben. Es wäre also wünschenswert, dass sich die Paare ihrer geheimen Phantasien bewusst werden und sich dazu locker austauschen können.
Trotz vieler ‘Goldener Himbeeren’ und negativer Kritiken: Die Verkaufszahlen der Trilogie sind der absolute Wahnsinn. 50 Shades of Grey brachte einen Tabubruch mit sich, der Äußerungen der (Damen)Welt zu zum Teil sehr ausgefallenen sexuellen Phantasien zuließ. Tabus werden dabei gebrochen, ohne jemals wirklich irgendwelche von der Gesellschaft gesetzte Grenzen zu überschreiten. Immerhin sollen ja die Massen erreicht werden. Das Spielzimmer gleicht irgendwie viel mehr einem Jagdzimmer, in welchem die Instrumente hängen wie Geweihe. Doch auch das Ende des Romans ist fest mit unserer Psyche verknüpft: Die Liebe rettet den verlorenen Prinzen. Die unschuldige Ana heilt den verletzten Christian. Schmerzen erleidet letztendlich nur noch die ehemalige Literaturstudentin. Und das im Bett.
Ob 50 Shades of Grey tatsächlich für die sexuelle Befreiung der Frau sorgt, ist fragwürdig. Immerhin gehört da doch noch ein wenig mehr dazu, als nur das bloße Lesen der Bücher oder das Ansehen des Films. Sicher ist aber, dass die Trilogie dazu einlädt, neue Phantasien zu entdecken oder über schon vorhandene Sehnsüchte nachzudenken. Die Anbieter von BDSM-Workshops, Fetisch-Partys und Sextoys können auch aufatmen: Der Hype wird wohl noch eine ganze Weile anhalten. Nichtsdestotrotz wurden tatsächlich Tabus gebrochen. Denn BDSM-Praktiken haben die heimischen Wohnzimmer und Schlafzimmer oder – wie anfangs bereits erwähnt – die öffentlichen Verkehrsmittel erreicht.
Weiterführende Links:
– Amorelie-Magazin zum Thema BDSM
– BDSM-Workshops
Autorin:
Vanessa Toth, Wien
Bilder:
Pixabay, Fotolia und Amazon
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